Goldrausch in Eton (England)
Junioren-Weltmeisterschaften - 3. bis 7. August 2011
Ein paar Meilen vor der altehrwürdigen Universitätsstadt Eton liegt der Dorney Lake, diesjähriger Austragungsort der Junioren-Weltmeisterschaften und im nächsten Jahr der olympischen Ruderregatta. Bereits seit der Regatta in Hamburg war klar, dass der Ruderverein Dorsten in diesem Jahr wieder einen Ruderer zu einer Junioren-WM schicken darf. Aber was würde auf Lukas, Malte, Johannes und Max in ihrem Vierer ohne zukommen? Gold im Vierer ohne - das gab es für den Deutschen Ruderverband zuletzt 2000 in Zagreb, die letzte Medaille 2008 in Linz. Der sonst so erfolgsverwöhnte DRV hatte ausgerechnet in dieser Bootsklasse seit 2 Jahren nichts gewonnen, nur die undankbaren vierten Plätze blieben.
Es sollte besser werden, das hofften alle. Und damit die Jungs auch lautstarke Unterstützung bekommen, machten sich Eltern, Trainer und Vereinskameraden auf den langen, beschwerlichen Weg in das Land der Geisterfahrer. War der DRV-Tross schon am vorherigen Samstag nach England aufgebrochen, machten sich die ersten Schlachtenbummler des RVD in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch auf den Weg. Familie Müller machte den Anfang, um auch schon bei den Vorläufen dabei sein zu können. Und die Dorstener Trainer? Uneins darüber, ob es wegen der Sommerzeit nun ein oder zwei Stunden Zeitverschiebung sind, verpassten Sie den Vorlauf am Live-Ticker und wurden von Lukas per SMS über die gewonnene Mission unterrichtet. Am nächsten Tag folgte die Analyse der Vorlaufzeiten und da zeigte sich, dass besonders mit den Spaniern und Rumänen zu rechnen sein wird. Aber das Halbfinale war erreicht und das sollten die Trainer schon live mitbekommen.
Slough, so hieß das Ziel der zweiten Dorstener Reisegruppe. Eine kleine, nicht besonders attraktive Industriestadt in der Grafschaft Berkshire, bekannt für... eigentlich nichts. Naja, dort sollte auch nur übernachtet werden, aber später mehr dazu. Am Freitag um 01:00 Uhr morgens traf sich die Reisegruppe am Bootshaus. Den Bus bepackt und auf ging's ins Abenteuer England. Mit an Bord: Die Junioren Trainer vom RVD und RC Hansa Dortmund, Ötte Wyrwoll und Frank Flörke, sowie RVD-Trainer Sebastian Schmelzer mit Freundin Annette. Schnell kehrte auf den hinteren Sitzen Ruhe ein, lediglich Frank hielt durch und sorgte dafür, dass Fahrer Sebastian bei Dauerregen und Dunkelheit den richtigen Weg fand. Vorbei ging es an Duisburg, Venlo, Eindhoven, Antwerpen, Gent, Oostende und Dünkirchen, bis endlich im Morgengrauen das Fährterminal von Calais in Sichtweite kam - trotz einer kleinen Pause in Frankreich, nach knapp 4 Stunden Fahrt, im Übrigen ohne die Hilfe eines Navigationssystems. Freundlich, aber bestimmend, so die Kontrolle der englischen Grenzpolizei ging es auf den Parkplatz, wo die Wartezeit für ein wenig Augenpflege genutzt wurde.
Um 07:00 Uhr ging's dann endlich auf die Fähre, alles ganz problemlos. Der Kanal war ruhig, die Stimmung erwartungsvoll und die Überfahrt schneller vorbei als gedacht. Die weißen Klippen von Dover, England in Sichtweite. Bei Sebastian kam so langsam ein wenig Unbehagen auf, denn es hieß "Linksverkehr". Aber zum Glück gab es ja Ötte, der frisch ausgeschlafen von der letzten Bank bei jeder Kreuzung und Abbiegung daran erinnerte, auch ja die richtige Straßenseite zu nehmen. Spaß beiseite, nach ein paar Minuten war auch Linksfahren kein Problem mehr. Rauf auf die Autobahn, Richtung London. Über Reading ging es Richtung Westen bis Windsor und dann sofort zur Strecke. Englische Landstraßen stellten noch einmal die eine oder andere fahrerische Herausforderung, aber gegen 11:00 Uhr erreichte man die Regattastrecke im Park des Eton College. Zeitweise hatte man hier das Gefühl auf einem Golfplatz zu fahren, so gepflegt waren die Grünanlagen. Und da die Junioren-WM als Testlauf für die olympische Ruderregatta galt, sparten die Gastgeber auch nicht an Ordnungspersonal, die höflich und bestens gekleidet die Parkplätze einwiesen, gegen eine geringe Gebühr von 10 £. Der Eintritt betrug dann nochmals 10 £ pro Person, ein Schnäppchen. Aber was tut man nicht alles um dabei zu sein. Halbfinale - das Zittern begann. Zwei Läufe, 12 Boote. Also, aus 12 mach 6 - die ersten drei pro Lauf sollten weiterkommen. Am Ende stand es fest: Halbfinale gewonnen. Zudem im Finale: Rumänien, Spanien, Serbien, Kroatien und Belarus. Und besonders die Rumänen und Spanier machten Sorgen, galten in Trainerkreisen als Favoriten.
Nach dem Rennen wollten alle nur noch eines, die Ruderer sehen. Und das gestaltete sich, sowohl für Familien, als auch für die Trainer als äußerst schwierig. Denn der Aktivenbereich war eingezäunt, sogar der Handyempfang war durch Störsender erschwert. Der Versuch den Zaun zu umgehen schlug ebenfalls fehl, denn das englische Ordnungspersonal war schärfer als jeder Wachhund. Höflich aber bestimmend wurde der deutsche Fantross zurückgewiesen. Malte und Lukas bekamen das jedoch mit und ließen sich kurze Zeit später, dann auch mit Max und Johannes, in der Mixed Zone blicken. Viel Zeit für Finalprognose gab es nicht, zu groß war die Wiedersehensfreude nach knapp fünfwöchigem Trainingslager. Und da englische Busfahrer ungerne warten, war das Meet & Great mit den Ruderern schnell wieder vorbei.
Für Annette, Ötte, Frank und Sebastian ging es dann erstmal zum Hotel. Premier Inn in Slough, hieß die Unterkunft. Zum Schlafen sollte es reichen, so die einstimmige Meinung auch von Familie Müller, die ebenfalls dort untergebracht war. Eine Dusche, frische Klamotten und ein bischen Schlaf. Unterbrochen durch einen unerträglichen Hunger, ging es auf die Suche nach etwas Essbarem. In einen Supermarkt. Kilometerlange Regale mit Kartoffelchips, gefühlt 1.000.000 Käsesorten und Marmeladengläser so weit das Auge reicht... Aber eines gab es nicht: ein einfaches Sandwich. Egal, hatten wir ja auf der Hinfahrt die gute alte Burgerbraterei eines gewissen Herrn McDonalds gesehen. Zwar schmeckt in England alles ein wenig anders, für den großen Hunger reichte es aber. Die ersten Kontakte mit englischer Kneipenkultur gab es dann anschließend noch in Windsor. Hier aber wirklich ernst gemeint, ein Städtchen zum verlieben und für die folgenden Tage der Ausgangspunkt abendlicher Aktivitäten. Nach ein paar Gläschen am Themseufer wollten alle nur noch eines: Schlafen und fit sein für den Final Day...
Und der begann mit einem leckeren, landestypischen Frühstück. Großen Hunger bekommt man allerdings schon von den Tischmanieren der englischen Hotelgäste nicht, das Speisenangebot tat dann noch sein Übriges. Aber Buttertoast mit Marmelade, Wurst und Käse gab es nicht, kann ja so schlecht nicht sein, dachte man sich, gäbe es nicht in England gesalzene Butter. Weitere Ausführungen über die britische Führstückskultur spart sich der Verfasser an dieser Stelle.
Gegen 10:00 Uhr machten sich Dorstens Schlachtenbummler dann auf zur Strecke. Nach entrichteter Parkgebühr (10,00 £) und Eintritt (15,00 £), fand sich eine Traube erwartungsvoller Deutscher. So fanden sich auch schnell bekannte Gesichter und man hatte zeitweise das Gefühl, dass man sich auch auf einer heimischen Regatta befinden könnte. Nach einigen Halbfinalläufen, bei denen der DRV alle Boote ins Finale brachte, kamen die ersten Finals, sechs an der Zahl. Und bei den ersten ging der DRV gar leer aus - ein schlechtes Omen für den sonst so erfolgsverwöhnten Ruderverband? Die Spannung stieg. 15:40 Uhr, Ortszeit. Die Boote gehen an den Start. Auf Bahn 3 der deutsche Vierer ohne, daneben die Rumänen auf Bahn 4. Der Start, schnell heraus, gut, aber auch die Serben. Nach 250 m ein kleiner Vorsprung, das gelbe Boot vorne. Und so ging es weiter, mehr als 2 Sekunden vorne, nach 500 m. Und der Ruhrpottexpress machte Dampf, mit 37 Schlägen in der Minute. Die Führung nach 1.000 m deutlich, aber die zweite Streckenhälfte, die war das Problem bislang. Deutlich langsamer hier das DRV-Boot in den Vorläufen, sollten sie auch im Finale einbrechen? Was würde passieren, wenn die Rumänen und Spanier von hinten Druck machen würden? Aber auch die Serben, sie waren stark, schon in den Vorläufen zeigten sie eindrucksvolle Leistungen im ersten Streckenabschnitt. Nach 1.250 m betrug der Vorsprung dann stolze 4,6 Sekunden und im deutschen Fanblock kochte die Stimmung, flossen die ersten Tränen. Die Jungs schaffen das, so die ersten Kommentare. Und die Trainer? Ötte Wyrwoll, aus dem Häuschen, Frank Flörke, äußerlich gelassen und Sebastian? Weg, wie immer wenn es ernst wird. Er stand alleine, vor der großen Anzeigentafel, er machte Fotos und wunderte sich zusammen mit dem polnischen Vierer, der es nicht ins Finale schaffte, über das Geschehen. Staunen auch bei den anderen Zuschauern am Streckenrand. Deutschland vorne, auch nach 1.500 m, auch bei 1.750 m. Die Angriffe der Rumänen und Spanier konnten ihnen nichts mehr, zu groß war der Abstand.
Schluss-Spurt des Vierers |
Der Monitor zeigt deutlich den Vorsprung im Ziel |
Und dann, nach knapp 6 Minuten das Ziel, wurde die Blasenbahn überquert. Deutschland Weltmeister, der erste Titel des Tages, der erste für Lukas, Max, Johannes und Malte, der erste für Dorsten! Tränen, Freudentaumel, grenzenloser Jubel. Der verdiente Lohn einer langen Saison, der JM4- ungeschlagen, bis ins Finale. Alles passte zusammen, all die Jahre der Vorbereitung, die langen Trainingseinheiten, die Schinderei über den Winter, die Ungewissheit es zur WM zu schaffen, alles vergessen in diesem Moment. Siegerehrung, Nationalhymne und pure Emotionen. Das Strahlen in den Gesichtern der Jungs wollte gar nicht enden. Nach der Siegerehrung gab es dann die ersehnte Ehrenrunde, vorbei an der Gegengrade, wo Eltern und Trainer warteten. Doch zunächst rief die Pflicht, zurück zu Bootstrainer "Paul" Jung, der am Steg wartete. Was dann folgte, warten, warten, warten. Zwei Stunden nach dem Rennen dann endlich der Empfang in der Mixed Zone. Laola für die Jungs und ihren Trainer, der sichtlich gerührt war. Da am Sonntag noch Finalrennen stattfanden, musste mit der Siegesparty gewartet werden, es ging für die Aktiven zurück in die Unterkunft. Trainer und Familien mussten somit alleine auf den Titel anstoßen und taten das auch kräftig. Zunächst im Riverside Inn am Themseufer und anschließend in der Hotelbar. Kleiner Tipp für Reisende nach Windsor. Da kann man wirklich gut essen, kein Scherz!
Geschafft! Der Goldvierer nach dem Rennen |
Lukas mit den RVD-Trainern Sebastian Schmelzer und Uli Wyrwoll |
Mannschaftsfoto |
Der nächste Morgen begann ein wenig verkatert mit einem leckeren, ausgewogenen, Frühstück im Hotel. Wieder einmal das Beste, was Miss Marples Küche hergab. Da die Fähre erst um 20:00 Uhr ging, entschieden sich Ötte, Frank, Annette und Sebastian für Sightseeing und die Besichtigung von Windsor Castle, dem Wochenendsitz der englischen Königin. Nach diszipliniertem Anstehen und dem Entrichten des, nicht geringen Eintrittspreises (16,50 £), wurde die über 900 Jahre alte Burganlage erkundet. Knapp 3 Stunden dauerte die Tour. Und wie klein die Welt ist, zeigte sich auch dort einmal wieder. Familie Reinhardt hatte die gleiche Idee zum Auftakt ihres Englandtrips gehabt und so stand man sich auf dem Wehrgang des Castles auf einmal gegenüber.
Die Rückfahrt stand bevor, doch zunächst wurde noch das ortsansässige Pizza Hut aufgesucht, um mit vollem Magen die Überfahrt auf das Festland anzugehen. Denn Sturm war vorhergesagt und der Ärmelkanal sehr unruhig. Die Kontrollen in Dover waren im Vergleich zu den französischen Kollegen deutlich strenger, nach Pass- und Zollkontrolle ging es noch durch die Security. Waffen und brennbare Gegenstände führen Ruderer für gewöhnlich nicht mit, so dass die Kontrolle zum Smalltalk mit gelangweilten Sicherheitsbeamten genutzt wurde. Die Überfahrt war überraschend ruhig und schnell vorbei, so dass Sebastian sich dann im Hafen von Calais endlich wieder in den gewohnten Rechtsverkehr einordnen konnte. Das gewohnte Bild der Hinfahrt, auch auf der Rückfahrt. Die hinteren Reihen schliefen, die vorderen Sitze tauschten Erlebnisse gemeinsamer Jahre beim RC Westfalen aus Herdecke aus. Eine Erkenntnis gab es jedoch auf der Rückfahrt. Die erste Tankstelle nach Calais gab es erst in Belgien, 137 km nach dem Fährterminal. Mit blinkender Reserveleuchte lenkte der RVD Bus durstig auf diese zu. Zwar sind Prepay-Tankstellen in Deutschland eher unüblich, aber dank vorhandener Kenntnisse der niederländischen Sprache war auch dieses Hindernis zu überwinden. Den Rest der Fahrt bestimmte nur das Brummen des Turbodiesels. Am Montagmorgen um 02:45 Uhr war man wieder am Bootshaus. Glücklich und mit dem Gefühl auch ein Stückchen Weltmeister zu sein. Danke Lukas, danke Jungs - das war einfach nur G... !!!
Sebastian Schmelzer