In einem Naherholungsgebiet vor den Toren Rotterdams liegt die Willem-Alexander-Baan. Hier fanden vom 21.08.2016 - 28.08.2016 die Weltmeisterschaften der Junioren, der U23 und der nichtolympischen Bootsklassen statt. Gleich vier Ruderer aus Dorsten sollten auf der Strecke, die einst der heutige König Willem-Alexander zu seinen Ehren als Kronprinz eröffnete, für den Deutschen Ruderverband an den Start gehen. Dass diese Weltmeisterschaften am Ende zum wahren Medaillenspektakel für die Dorstener wurden, damit konnte vorab niemand rechnen.
Am Ende Bronze gewonnen
Relativ früh war die Nominierung von Christopher Reinhardt für den U23-Achter von Trainer Peter Thiede absehbar. Mit guten Leistungen im Frühjahr hatte Christopher, der grade erst zu den Senioren aufgestiegenen war, auf sich aufmerksam gemacht. Spätestens nach der Kleinbootmeisterschaft, bei der er mit Marc Leske als sechstplatziertes U23-Boot überzeugte, war die Teilnahme an der U23-WM in Rotterdam absehbar. Die Goldmedaille mit dem U23-Achter bei den Deutschen Jahrgangsmeisterschaften im Juni sorgte dann für die Gewissheit. Der "kleine Deutschlandachter", den Stützpunktrainer Thiede in Dortmund trainiert, galt als einer der Favoriten im großen Meldefeld. Dreizehn U23-Achter hatten gemeldet, also standen Vor- und Hoffnungsläufe, sowie Halbfinals an, ehe es an die Medaillenentscheidungen ging. Und schon im Vorlauf hatte die Crew mit Malte Daberkow, Jakob Schneider, Malte Grossmann, Finn Knüppel, Christopher Reinhardt, Laurits Follert, Jakob Schulte Bockholt, Marc Leske und Steuermann Jonas Wiesen mit Problemen zu kämpfen. Platz zwei reichte zwar zum direkten Einzug ins Finale, doch so richtig kam das deutsche Boot nicht in Fahrt.
Im Halbfinale standen die ersten schweren Aufgaben an. Sowohl die Niederlande, als auch die Rumänen hatten sich in den Vorläufen stark präsentiert und machten dem deutschen Nachwuchsboot das Leben von Beginn an schwer. Platz 3 hinter den Niederländern und den Rumänen im Halbfinale reichte zur Teilnahme am A-Finale, doch die Zeiten aus dem zweiten Halbfinale machten wenig Hoffnung auf eine Medaille. Denn dort waren die Briten, die Ukraine und Italien deutlich schneller unterwegs gewesen.
So ging es dann am Freitagabend um 17:45 Uhr ins Finale. Auf der ungünstigen Bahn 5. Der Start klappte gut, Platz 2 nach den ersten 500 m. Vorne waren von Beginn an die Niederlande und behielten diese Führung ungefährdet bis zum Ende. Die Tribüne bebte... VIVA HOLLANDIA!!! Doch das Rennen dahinter war spannend und die Deutschen mittendrin. Ernüchterung bei der 1000m Zeit, Platz vier, ebenso bei 1500 m. Sollte es für Christopher nach Bronze bei der U19 WM im Vorjahr dieses Mal nur zum vierten Platz reichen? Nein, dachte sich Steuermann Jonas Wiesen. Er trieb die Mannschaft 600 m vor dem Ziel zum Endspurt an, alles oder nichts war die Ansage. Mit der schnellsten Zeit über die letzten 500m schnappte sich das grüne Boot der Deutschen den dritten Platz, den die Ukrainer bis kurz vor der Ziellinie zu verteidigen versuchten. Doch am Ende der Jubel auf deutscher Seite, erschöpft aber erleichtert gingen die Arme hoch. Es siegten die Niederlande, vor den Briten und dem deutschen Boot.
Der Plan B(ronze)
Mit ihrem Bruder an einer Weltmeisterschaft teilzunehmen war der Reiz dieser Veranstaltung für Charlotte Reinhardt. Ihre Teilnahme an der Weltmeisterschaft der nichtolympischen Bootsklassen war eigentlich nicht geplant, vielmehr unternahm sie mit dem deutschen Frauenachter den Versuch, sich für die olympischen Spiele zu qualifizieren. Nach dem mäßigen Abschneiden der deutschen Riemenfrauen bei der WM 2015 in Aiguebelette war jedoch absehbar, dass dieses Vorhaben sehr ambitioniert sein würde. Der letzte Versuch war im Mai die "Regatta of the Death" in Luzern. Hier scheiterte das Vorhaben, in welches Charlotte in den letzten zwei Jahren sehr viel Zeit und Training investiert hatte, kläglich. Ernüchterung folgte in den nächsten Tagen, doch ganz schnell stand auch der "Plan B". Noch auf dem Regattaplatz am Rotsee stand das Gerüst. Charlotte mit Alexandra Höffgen, sowie dem Mainzer Zweier mit Lea Kathleen Kühne und Melanie Hansen sollten einen Vierer bilden, den der Interims Coach der deutschen Riemenfrauen, Ralf Müller, auf die WM vorbereiten sollte. Mit dem Sieg beim letzten Weltcup in Posznan entstand Hoffnung auf eine Medaille. "Ich fahre da nicht hin um wieder nichts zu gewinnen" so die Ansage von Charlotte Reinhardt, als es in der Vorbereitung mal nicht so rund lief. Ehrgeiz und Zielstrebigkeit, dass sollte diese Mannschaft ausmachen, zusammen mit einer guten Grundeinstellung. Nachdem Alexandra Höffgen aus persönlichen Gründen ausstieg, wurde mit Ronja Schütte (EWRC) eine erfahrene Sportlerin gewonnen, die sich sofort bestens in die Mannschaft einfügte.
Sieben Vierer hatten gemeldet, darunter auch die favorisierten Boote aus den USA und Großbritannien. Einzig bekannt war das Boot aus Belarus, welches man beim Weltcup bereits schlagen konnte. Somit war das ganze Unterfangen eine große Wundertüte, die sich im Vorlauf aber als absolut konkurrenzfähig herausstellte. Platz 2 hinter den Britinnen bedeutete zwar den Umweg durch den Hoffnungslauf, dennoch machte die insgesamt drittschnellste Zeit der beiden Vorläufe ein wenig Hoffnung. Am Samstagmittag stieg dann das Finale. An der Strecke stand der Support. Vereinskameraden, Eltern und die jahrelangen Wegbegleiter, Mark Osborne und Sebastian Schmelzer, waren vor Ort, ebenso Charlottes Freund, Matze Hörneschemeyer, der selbst bei den U23 Weltmeisterschaften im Vierer mit Steuermann am Start war. Vorneweg starteten die Britinnen und die USA. Bei Streckenhälfte übernahmen die Britinnen das Kommando und fuhren die Goldmedaille ins Ziel. Silber ging an die USA. Und dahinter? Ungefährdet lag das deutsche Boot im gesamten Rennen auf dem Bronzerang und konnte den Vorsprung auf die dahinterliegenden Boote stetig ausbauen. Auch hier die gleichen Bilder bei der Siegerehrung, wie am Tag zuvor beim Bruder. Emotionen, Freude und endlich wieder fröhliche Gesichter im Frauen-Riemenbereich. Ein totgesagter Bereich im DRV sendet ein Lebenzeichen, was Hoffnung und Motivation für die nächsten vier Jahre schenkt.
Unverhofft ins Boot
Benedikt Müller beendete die zweite U23 Kleinbootüberprüfung mit Platz zehn. Zwei Jahre hatte er auf seinen Durchbruch im U23 Bereich warten müssen, nun sollte es endlich klappen. Als Ersatzmann wurde Benedikt auf den Deutschen Meisterschaften für die U23 Weltmeisterschaften nominiert. Und kurz vor Beginn des abschließenden Trainingslagers in Ratzeburg war dann des einen Leid sein Glück. Michael Trebbow, der zusammen mit Malte Großmann für den Zweier nominiert war, verletzte sich schwer, so das kurzerhand der Zweier neu gebildet wurde. Hier sollte nun Benedikt mit Johannes Rentz (Dortmund) an den Start gehen. Drei Wochen hatte das "Himmelfahrtskommando" Zeit, sich aufeinander einzustimmen, was unter der Anleitung von Bootstrainer Peter Thiede in Ratzeburg vonstatten ging. Neun Boote hatten für den U23 Zweier ohne Steuermann gemeldet, sechs kamen ins Finale. Mit Platz drei im Vorlauf und dem ebenfalls dritten Platz im Hoffnungslauf reichte es nur ganz knapp nicht für das A-Finale. Besonders auf den letzten 1.000 m im Hoffnungslauf deuteten Rentz/Müller das Potential an, welches in diesem Boot steckte, leider zu spät. Im B-Finale ging es gegen Griechenland. Und hier schöpften Müller und Rentz ihr Potential endlich ganz aus und beendeten die U23 Weltmeisterschaften mit einem achtbaren siebten Platz. "Hätten die beiden den Hoffnungslauf so gerudert wie das B-Finale, dann wäre das A-Finale locker dring gewesen" kommentierte Bundestrainer Thiede das Ergebnis.
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Manchmal gibt es eben doch Wunder
So könnte man die Leistung von Cedric Kulbach im Leichtgewichts-Doppelvierer beschreiben. "Im Rudern gibt's keine Wunder und auch nur selten Überraschungen. Die Favoriten setzen sich meistens durch" sagte RVD Trainer Sebastian Schmelzer noch vor den Finalrennen. Einige Stunden später erlebten er und Co-Trainer Mark Osborne eben genau dieses.
Als Siebter der deutschen Kleinbootmeisterschaften hatte sich Cedric bereits früh in der Saison für die WM in den Fokus der Bundestrainer gerudert. Doch noch auf der Nominierungsregatta in Ratzeburg brach Cedric sich den Fuß - doch wer meinte, dass damit die Ambitionen des Wahl-Karlsruhers sanken, der fehlte. Zusammen mit Patrik Stöcker, Johannes Ursprung und Florian Roller nahm er die UWV in Mölln auf. Der "wild zusammengewürfelte Haufen" hatte Schwierigkeiten eine Einheit zu werden und sich technisch aufeinander einzustellen. Probleme, die das deutsche Boot auch noch im Vorlauf zeigte. Nur Platz drei, die direkte Qualifikation für das A-Finale war damit verpasst. Doch leise Hoffnung kam über den Zeitvergleich auf, denn immerhin war man das viertschnellste Boot beider Vorläufe. Vor dem Hoffnungslauf ging ein Ruck durch das deutsche Team. "Wir machen das jetzt anständig, ansonsten können wir es gleich lassen" beschwor Cedric seine Mannschaft vor dem Rennen. Und das schien zu wirken - Platz 1 im Hoffnungslauf, das erste gute Rennen des Doppelvierers.
Am 27.08.2016 um 13:35 Uhr hieß es dann Attention Go!!! Charlotte hatte soeben Bronze im Vierer ohne Steuerfrau gewonnen, Christopher im U23-Achter Bronze am Tag zuvor. Cedric Kulbach lag mit dem deutschen Leichtgewichts-Doppelvierer am Start bei einem WM-Finale!!!
Cedric, der immer als zu klein und zu leicht galt, aber über einen immensen Trainingswillen verfügte, war in Jugendjahren den Kollegen Müller, Reinhardt und Co einfach körperlich unterlegen. Zum Studium ging er nach dem Abitur nach Karlsruhe und trainierte weiterhin. Im letzten Jahr qualifizierte er sich bereits für die U23-Weltmeisterschaften in Plovdiv, jetzt reichte es für die A-WM.
Das Rennen startete und das deutsche Boot war von Beginn an vorne mit dabei. Die Führung bestand auch bei der ersten 500m Marke und wurde bis zur Streckenhälfte immer weiter ausgebaut. "Wenn alles gut geht, gibt's vielleicht auch eine Medaille, aber es wird schwer", prognostizierte Dorstens Co-Trainer Mark Osborne bereits vor dem Rennen. Bei 1500 m betrug der Vorsprung auf die favorisierten Franzosen bereits drei Sekunden. "Wenn da nix mehr schief geht, gewinnen die Gold - das glaube ich nicht", dachte sich Cedrics einstiger Jugendtrainer Sebastian Schmelzer, der total verwundert das Geschehen auf der Tribüne verfolgte. Am Ende kamen die Franzosen nochmals auf, aber es reichte zu GOLD!!! Was folgte war der absolute Wahnsinn. Auf der Strecke feierten Kulbach und Co, ein gutes Dutzend mitgereister Fans sprang ins Wasser und schwamm zum Boot hin und im Zuschauerbereich jubelten Trainer, Eltern, Bruder und einstige Trainingskollegen aus Dorstener Tagen. Weitere Emotionen beschreiben die Bilder zu diesem Artikel eindrucksvoller, als Worte es jemals könnten.
Ein Wahnsinnsjahr - das Fazit des Trainers
Als ich 2015 mit Carolin und Christopher mit Gold und Bronze an der Copa Cabana stand, dachte ich mir: Junge, das war es jetzt. Das war der Höhepunkt, wie wollen wir dieses Gefühl denn jemals toppen??? Gefühlt hatten wir bei den deutschen Meisterschaften 2015 etwa 10 Medaillen gewonnen, hatten zwei WM Tickets für die U19 WM in der Tasche und mit Charlotte und Jason zwei aussichtsreiche Kandidaten für die Olympischen Spiele.
Ein Jahr später sitze ich da und resümiere das Jahr 2016. Dabei stellt sich mir die Frage, was wir da einst für eine Saat gesät haben? Jason Osborne, Dorstens erster Kinderruderer nach dem Relaunch der Jugendarbeit in 2005, war bei den Olympischen Spielen in Rio. Lukas Müller gewann in Juli bei der Royal Henley Regatta. Tim Knifka wurde Europameister bei der Studenten EM. Bei den U23 Weltmeisterschaften gingen Benedikt Müller und Christopher Reinhardt an den Start und Christopher gewinnt gleich die Bronzemedaille im Achter. Cedric Kulbach gewinnt Gold bei dem WM, Charlotte Bronze im Vierer und eine Woche später gewinnen beide noch Gold bei den Studentenweltmeisterschaften in Posznan, wo sich mit Timo Piontek der nächste Dorstener zugesellte.
Wohin uns der Weg in den nächsten Jahren führt, ist schwer vorherzusagen. Die Kinder von einst sind groß geworden - und rocken Ruderdeutschland derzeit richtig! Uns alle verbindet die Erinnerung an unsere gemeinsamen Jahre in Dorsten - wohin alle hin und wieder gerne zurückkehren. Ich glaube, dass wir in den nächsten Jahren noch das eine oder andere Highlight erleben werden. Denn nicht nur die "alten Hasen" sind noch jung genug für weitere tolle Jahre, auch die Junioren von heute werden das eine oder andere Kapitel unserer Erfolgsgeschichte hinzufügen. Es macht einfach Spaß zu sehen, wie das Pflänzchen, was wir einst ausgesät haben, immer weiter wächst.
ROW4TOKIO !!!
Euer Sebastian
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